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Dem Kopfschlagen auf der Spur

Oftmals liegen dem Kopfschlagen beim Pferd Krankheit, Schmerz oder psychische Probleme zugrunde. Die Ursache gilt es herauszufinden, damit eine Therapie erfolgreich angewandt werden kann.

«Das Forschungsprojekt soll zum Kenntnisstand des idiopathischen EHS beitragen und einen besseren Überblick über bekannte Fälle, das Auftreten sowie stimulierende Effekte, die Ätiologie und Pathogenese geben, um weiterhin wirksame therapeutische Ansätze zu schaffen», hält Laura Maxi Stange fest. Und die 30-jährige Wissenschafterin ist überzeugt, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit zum besseren Verständnis des idiopathischen EHS bei Pferden beitragen, worauf in einem zweiten Schritt wirksame Therapien formuliert werden könnten. «Letztendlich kann so Tierleid vermieden und potenziellen Gefahren für Pferd und Reiter entgegengewirkt werden.» Doch erstmals der Reihe nach, und das in verständlichem Deutsch.

PASSION_1-2022
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Eigenständiges Leiden

Unter EHS, dem equinen Headshaking Syndrom, wird ein Komplex von Symptomen verstanden, der sich als unkontrollierte Bewegung von Kopf und Nacken des Pferdes

äussert. Eingeteilt wird EHS in zwei Bereiche, in das idiopathische und das symptomatische EHS. Beim symptomatischen EHS kann eine zugrundeliegende Primärerkrankung wie beispielsweise Zahnschmerzen als Ursache ausgemacht werden. Das idiopathische EHS hingegen ist auf keine klare Ursache zurückzuführen, weshalb es gemäss griechischem Ursprung des Wortes als eigenes (idios) Leiden (pathos) bezeichnet wird. Im Rahmen einer Masterarbeit am Institut für Tierzucht und Tierhaltung der Christian-Albrechts-Universität in Kiel befragte Laura Maxi Stange mittels Online-Aufruf Besitzerinnen und Besitzer von Pferden, die von EHS betroffen sind.


Das gab einen Überblick über die Situation in Deutschland. Nun dienen die Ergebnisse dieser Masterarbeit als Grundlage für eine Folgestudie unter Leitung von Irena Czycholl.

Unterstützt von Pro Pferd soll dieses Projekt dazu beitragen, Ursache (Ätiologie) wie Entstehung und Entwicklung (Pathogenese) des equine Headshaking Syndroms besser zu verstehen und weiterhin wirksame therapeutische Ansätze zu schaffen. Zudem sollen spezifische Reittests mit Zügeldruckmessungen und erhobene Gesundheitsdaten (Herzfrequenzaufnahmen) dazu beitragen, mögliche Therapiemassnahmen zu optimieren. Auch werden mögliche Zusammenhänge mit der Genetik der Pferde oder mit Infektionskrankheiten untersucht.


Neu ist dieser Ansatz nicht. In der Wissenschaft wird das equine Headshaking Syndrom erstmals 1809 in «The History of the horse» erwähnt. Ausführlichere Beschreibungen und Studien gibt es seit den 1970er-Jahren. Dabei ist vor allem von einer spontanen Verhaltensstörung die Rede, die sich durch unkontrolliertes und andauerndes Aufwärtsbewegen des Kopfes manifestiert, das erheblich vom Normalverhalten abweicht und durch Intensität wie Häufigkeit die Optimierung des eigenen Zustandes nicht mehr gewährleistet. Meist geschieht dies ohne äusseren Antrieb. In einigen Fällen können aber, speziell beim idiopathischen EHS, Faktoren wie Schnee, Wind oder Sonnenschein Auslöser (Trigger) für das Kopfschlagen sein. Eine Beteiligung des Trigeminusnervs ist hierfür der gängigste Erklärungsansatz. Auch in der Schweiz gibt es einschlägige Studien. Mittels einer repräsentativen schriftlichen Umfrage bei 1861 Pferdebetrieben erfassten Iris Bachmann und Markus Stauffacher vor rund 20 Jahren am Institut für Nutzierwissenschaften der ETH Zürich die Häufigkeit von Verhaltensauffälligkeiten. Insbesondere wurde untersucht, wie das Auftreten der Stereotypien Koppen, Weben und Boxenlaufen mit tiereigenen Faktoren (Rasse, Alter, Geschlecht) und mit Faktoren der Haltung, der Ernährung, des Managements und der Nutzung in Zusammenhang steht. Bei einer Rücklaufquote von 35,2% (622 Betriebe) wurden für 418 von 2536 erfassten Pferden (16,5%) Verhaltensauffälligkeiten beschrieben. 89 Pferde (3,5%) zeigten die tierschutzrelevanten Stereotypien Koppen, Weben, Boxenlaufen oder eine Kombination davon. Für 47 Pferde (1,9%) wurden Untugenden (Scheuen, Buckeln, Aggressivität gegen

Menschen) genannt, und für 281 Pferde (11,1%) Mischformen, die je nach Ausprägungsform als Verhaltensstörungen oder als Untugend bezeichnet wurden (Scharren, Lippenschlagen, Kopfschlagen, Boxenkicken). Wie bei Bachmann und Stauffacher zudem nachzulesen ist, konnten für die Stereotypien Koppen, Weben und Boxenlaufen in einem Modell eine Vielzahl statistisch signifikanter Zusammenhänge mit Faktoren der Genetik, der Haltung, des Managements und der Nutzungsart aufgezeigt werden. Grösste Bedeutung kam neben der Rasse den Bereichen Sozialkontakt mit Artgenossen, freie Bewegung auf Weide, Fütterung, Beschäftigung und Nutzung zu.


Auffälligkeit statt Untugend

Heutzutage wird der Begriff Untugend im Kontext des Pferdes angezweifelt, da er auf menschlichen Wertvorstellungen basiert und falsches wie schuldhaftes Verhalten impliziert. Ein solches soll dem Pferd nicht unterstellt werden. In einer wertneutraleren Begrifflichkeit drängt sich deshalb auf, das Kopfschütteln ebenso als Verhaltensstörung oder zumindest als eine Verhaltensauffälligkeit zu bezeichnen. Freilich fragt sich Stange, ob EHS überhaupt eine Verhaltensstörung ist oder doch primär Ausdruck (Symptomatik) eines tieferliegenden Problems. Was will uns das Pferd mit dem Kopfschlagen und Kopfschütteln also sagen? Im Spiel mit Artgenossen kann es als offensive Geste als Mittel der Kommunikation verstanden werden, in der Beziehung mit dem Menschen als Zeichen von Ärger, Wut, Angst oder Schmerzen. Sein Pferd zu verstehen, bedeutet den Auslöser dafür zu erkennen.

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